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Gefährliche Abhängigkeiten

In Zeiten fortwährender Krisen wird Geopolitik zu einem festen Bestandteil unternehmerischer Führung. Zu Recht – denn die Versorgung mit Waren und Rohstoffen ist regelmäßig in Gefahr. Das zeigen jüngst auch die Auswirkungen des Gaza-Krieges.

Mit Krisen kennt sich Jan Friedrich Kallmorgen aus. Er verdient sein Geld damit, Unternehmen zu zeigen, welche ihnen gefährlich werden können. Vor sechs Jahren hat der Historiker und Politikwissenschaftler die Unternehmensberatung Berlin Global Advisors gegründet, nach Stationen bei Goldman Sachs, der Weltbank und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Als Partner berät er seine Kunden in geopolitischen und politischen Fragen, die sich auf Geschäftsstrategien, Kapitalmärkte und Transaktionen auswirken. Das Geschäft läuft gut, denn Geopolitik hat Einzug gefunden in das Denken von Führungskräften und Verantwortlichen. Eine Studie der Anwaltskanzlei Hengeler und Mueller sowie des Arbeitskreises deutscher Aufsichtsrat (AdAR) zeigt: Das Thema steht auf der Aufsichtsratsagenda auf Platz drei, gleich hinter den Themen ESG/Nachhaltigkeit und Digitalisierung.  

Auch kleine und mittlere Unternehmen denken um: „Die Wahrnehmung von geopolitischen Risiken bei Mittelständlern ist durchaus da und hoch“, sagt Kallmorgen. „Wir sehen eine gestiegene Nachfrage nach Briefings für Vorstände und auf Gesellschafter-Ebene. Da ist schon viel völlig anders als vor fünf Jahren.“ Gut so. Denn das Thema Geopolitik ist gekommen, um zu bleiben. Die Welt ächzt unter der Last der vielen Konflikte – das Ringen der Supermächte China und USA, der nun schon zwei Jahre andauernde Ukraine-Krieg, um nur zwei von ihnen zu nennen. Hinzu kommen der Klimawandel als Dauerkrise und Unsicherheiten, die mit der rasanten Entwicklung Künstlicher Intelligenz einhergehen und der noch unbeantworteten Frage nach ihrer Regulierung.  

Zuletzt befeuerte der Gaza-Krieg, der im Oktober 2023 mit einem Angriff der radikal-islamischen Terrororganisation Hamas auf Israel begann, das Thema nochmals. Zwar spielt Israel für den deutschen Außenhandel quantitativ keine bedeutende Rolle – nur 0,4 Prozent der Warenexporte gingen zuletzt in das Land. Der Anteil der Importe ist sogar nur halb so groß. Dennoch zeigt der Krieg dort – zusammen mit anderen geopolitischen Veränderungen, Spannungen und Kriegen –, womit Unternehmen und Verantwortliche in Konfliktsituationen rechnen müssen: 

Risiko: steigender Ölpreis

Am stärksten schwankte der Ölpreis zuletzt infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Anfang März 2022 erreichte er mit 139 US-Dollar für die Sorte Brent den höchsten Stand seit dem Jahr 2008. Im Zuge der Attacke der Hamas entbrannte erneut eine Diskussion um einen drohenden Ölpreisschock. Bereits in der Vergangenheit hatte es im Nahen und Mittleren Osten unterschiedlich hohe Kürzungen des Ölangebots als Reaktion auf Konflikte in der Region gegeben. Ein solcher Schock – für den in einem Szenario der Weltbank 150 Euro pro Barrel der Sorte Brent angesetzt wurden – würde laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024 in Deutschland um 0,5 Prozent und im Folgejahr um 1,0 Prozent sinken lassen. Das IW schätzte eine solche Entwicklung als sehr unwahrscheinlich ein, doch auch andere Konflikte beeinflussen den Ölpreis stark. So kann beispielsweise eine Sperrung oder Störung der Straße von Hormus im Persischen Golf Folgen für

den Ölpreis haben. Das iranische Mullahregime wirkt regelmäßig auf die Wasserstraße ein, um seine Macht zu demonstrieren. Mögliche Folge: Preissprünge durch Angebotsverknappung auf dem globalen Öl- und Gasmarkt (inklusive Flüssigerdgas, LNG) mit Auswirkungen nicht nur auf Export- und Importstaaten. „Zur Kompensation müssten etwa die asiatischen Verbraucherländer auf andere Märkte ausweichen, was den Preisdruck auch im Warenhandel erheblich steigern dürfte“, heißt es beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft seien möglich. Risiko: Supply Chain  

Ein weiteres wichtiges Geopolitik-Thema für Unternehmen: Lieferketten. Störungen wichtiger Transportwege lassen sich regelmäßig beobachten. Aktuell stehen Lieferketten als Folge des Gaza-Krieges unter Druck. Unterstützt vom Iran attackieren jemenitische Huthi-Rebellen verstärkt Handelsschiffe im Roten Meer. Etwa zehn Prozent des gesamten Welthandels hängen von dieser Route ab, die viele Reedereien derzeit meiden. Statt durch den Suezkanal nehmen die Schiffe den längeren Weg um das südafrikanische Kap der Guten Hoffnung, was den Transport um Tage verlängert und die Kosten in die Höhe treibt. Laut einem Bericht des Handelsblatts von Anfang 2024 sind die  durchschnittlichen Frachtraten binnen vier Wochen weltweit um 60 Prozent auf 1.759 Dollar pro Standardcontainer gestiegen. Logistiker warnten vor Engpässen ab Anfang Februar – Tesla hat seine Produktion in Grünheide bei Berlin bereits im Januar unterbrechen müssen. 

Risiko: Seltene Erden

China schränkt den Export seltener Erden immer weiter ein. Nachdem die Volksrepublik im Juli 2023 die Ausfuhr von Germanium und Gallium – zweier für die Hableiterproduktion wichtiger Metalle – reglementierte, kam im Dezember Grafit hinzu, ein essenzieller Rohstoff in der Produktion von Batterien. Die Ausfuhr von Technologie zur Verarbeitung seltener Erden hat die Volksrepublik mittlerweile verboten. „Bei raffinierten Rohstoffgruppen liegt die weltweite Abhängigkeit von China bei knapp 50 Prozent“, sagt Timo Blenk, Partner der Geopolitik-Beratung Agora Strategy Group. „In einzelnen Raffinierungsgruppen, die sehr kritisch sind für den Bereich ­Elektromobilität, beträgt die Abhängigkeit über 90 Prozent.“ Kobalt wiederum stamme zum größten Teil aus der Demokratischen Republik Kongo (über 70 Prozent), Lithium vor allem aus Australien und Chile (über 70 Prozent). Auch diese beiden Metalle sind essenziell für die Herstellung von Batterien. „Diese Rohstoffe kommen immer nur aus einem bis zwei Ländern. Für Firmen ist das superkritisch.“  

Risiko: Sanktionen und Embargos

In den vergangenen Jahren ist ein deutlicher Zuwachs bei den weltweit aktiven Sanktionen zu verzeichnen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat sich die globale Sanktionslandschaft nochmals deutlich verändert. Laut dem Europäischen Rat wurden bis Dezember 2023 Sanktionen gegen knapp 2.000 Personen und Organisationen verhängt. Der Wert der mit Sanktionen belegten Ausfuhren nach Russland – darunter Spitzentechnologie, Dual-Use-Güter sowie Luxuswaren – betrug fast 44 Milliarden Euro. Einfuhren aus Russland in die EU – etwa Rohöl, Kohle und Stahl – schlugen mit knapp 92 Milliarden Euro zu Buche. Das bislang letzte, zwölfte Sanktionspaket war im Dezember in Kraft getreten und beinhaltet ein Importverbot für russische Diamanten. Neben Russland steht Iran weiterhin unter Beobachtung und die USA haben neue Exportkontrollen gegen China eingeführt, um fortgeschrittene Halbleiterexporte zu unterbinden. Ein Blick in die Zukunft gibt Anlass zur Sorge. Die Stimmung ist eisig – Washington und Peking ringen seit Jahren um politischen Einfluss und Technologieführerschaft. Ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan, zu dessen Beistand sich die USA verpflichtet haben, hängt wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft. Eine Folge davon könnte ein US-Handelsembargo sein, in dessen Fall dort tätige Unternehmen vor einer Vielzahl von Problemen stünden – unter anderem: Wegfall des kompletten Marktes, das Fehlen kritischer Rohstoffe und Güter, die in China festsitzen, fehlender Zugriff auf Finanzmittel und Gefährdung der dort ansässigen Mitarbeiter.  

Grundsätzlich rechnet Strategieberater Blenk nicht damit, dass sich die Lage zwischen den Großmächten entspannt. Er sieht aber auch Chancen: „Für deutsche Firmen kann es gut laufen. Ob man es will oder nicht – meist werden sie einem bestimmten Land zugeordnet“, sagt er. „Amerikanern wird mehr Parteilichkeit unterstellt. Deutsche Unternehmen werden eher als businessorientiert gesehen und weniger als politisch gesteuert. Das kann ihnen durchaus den einen oder anderen Auftrag einbringen.“ Gefährliche Abhängigkeiten bei Rohstoffen und anderen Gütern gelte es aber nach wie vor zu reduzieren – und zwar schnell.

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